Oasen der Freiheit – Anarchistische Streifzüge

Georgi Konstantinow und Ilija Trojanow im Gespräch

„Arbeit war eine Utopie, Wohnungen waren eine Utopie, Würde war eine Utopie, eigene Entscheidungen zu treffen war eine Utopie. Uns ist es gelungen, viele Utopien Wirklichkeit werden zu lassen.“

Bürgermeister Juan Manuel Sánchez Gordillo aus Marinaleda in Andalusien

„Diese Geschichtsauffassung, das der Staat, das der Kapitalismus, das der Nationalismus einfach eine Realität ist, die wir akzeptieren müssen, das es keine andere Alternative gibt, das ist die eigentliche schwachsinnige Vorstellung die uns aufgezwungen wird.“

Dilar Dirik, Soziologin und Aktivistin der kurdischen Frauenbewegung

Diese beiden Zitate sind nur zwei Stimmen von mehreren, die in der 3sat-Dokumentation „Oasen der Freiheit – Anarchistische Streifzüge“ zu hören sind. Der bulgarische Schriftsteller Ilija Trojanow begibt sich darin auf Spurensuche nach Oasen der Freiheit in Europa und findet sie in der anarchistischen Geschichte und Gegenwart, in der Literatur und im Internet.

Aus vielfältigen Blickwinkeln und in verschiedenen Ländern bringt er uns anarchistische Gesellschaftsmodelle von Selbstverwaltung und Freiheit zur Kenntnis. Die Interviews mit Anarchistinnen und Anarchisten aus verschiedenen Generationen und Ländern transportieren einen revolutionären, befreienden und konstruktiven Geist. Auf den Streifzügen gelangen wir ins thüringische Meiningen zur Bakuninhütte, ein Erholungsort der historischen anarcho-syndikalistischen Bewegung in Deutschland und heute wieder von libertärem Geist getragen. Der Weg führt nach Jambol in Bulgarien, einst eine Hochburg des revolutionären Anarchismus. Gespräche mit Christo Karastojanow geben historische Einblicke und der in ehren ergraute Anarchist Georgi Konstantinow gibt einen Ausblick auf die Alternative einer freien Gesellschaft ohne den alles zerstörenden Kapitalismus und seine Rationalisierung. „Anarchie oder Tod“, das ist die Wahl, vor der die Menschen stehen. Zwei selbstverwaltete Projekte werden vorgestellt und die darin Arbeitenden berichten über die Hintergründe. In der spanischen Kleinstadt Marinaleda erkämpfte eine vom Anarcho-Syndikalismus inspirierte Arbeiterbewegung die Selbstverwaltung des Ortes und die Selbstorganisation und Selbstverwaltung produzierender Kollektive. Im Ort ist die Polizei abgeschafft. Die Bewohnerinnen und Bewohner regeln die Dinge solidarisch. Auf der zu Griechenland gehörenden Insel Ikaria gibt es keine Uhren. Die Arbeiterin in der Frauenkooperative, Dana Filippas, erläutert, wie das Leben dort funktioniert. Hetze und Stress wie im Kapitalismus gibt es nicht. Die Lebenserwartung der Bewohnerinnen und Bewohner ist überdurchschnittlich. In Wien treffen wir auf ein feministisches Internet-Kollektiv. Die Netzwerkaktivistin und Künstlerin Reni Hofmüller spricht über die Notwendigkeit freier „Open“ Software und unreglementiertem Informationsaustausch. Infrastrukturen dürfen nicht ausschließlich in den Händen zentralistischer und monopolistischer Körperschaften liegen. Beeindruckend ist das Gespräch mit der kurdischen Frauenaktivistin Dilar Dirik. Sie spricht über die Ansichten der Anarchistin Emma Goldman und deren Inspiration und Einfluss auf die kurdische Frauenbewegung. Anarchistische Vorstellungen nehmen auch Einfluss auf die Selbstverwaltung durch die revolutionären Bewegungen in den kurdisch kontrollierten Gebieten in Nord-Syrien, in Rojava.

Die Dokumentation wurde im April 2018 ausgestrahlt. Sie findet sich auch auf Youtube:

Oasen der Freiheit – Anarchistische Streifzüge – 3sat HD Kulturzeit Doku – 11.04.2018

Bildunterschrift: Georgi Konstantinow und Ilija Trojanow im Gespräch.

„Wie wollen wir eine wirklich freie und gerechte Gesellschaft nennen? Der Begriff Kommunismus ist seit der sowjetischen Erfahrung verunglimpft, das Wort Anarchismus weckt bei den meisten Menschen leider negative Assoziationen.“

Ilija Trojanow

„Alle Wörter sind beschmutzt als Folge von Demagogie, Machtdrang und Gier. Wir haben erlebt was nach der französischen Revolution mit ihrem Motto ‚Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit‘ geschehen ist. Die Bolschewiken haben den gesamten Rest der Sprache kontaminiert. Aber bis heute haben wir keine genaueren Begriffe für eine alternative soziale und wirtschaftliche Organisation der Gesellschaft gefunden als Anarchie und Kommunismus.

Der Kommunismus als Wirtschaftsform, die Anarchie als Gesellschaftsform.“

Georgi Konstantinow

Dieser Artikel ist erschienen in BUNĂ #6